Ein offenes Wort zu Griechenland - Rotger Kindermann

15/07/2015



Ein offenes Wort zu Griechenland

Eine Replik von Rotger Kindermann, 

EJ Vizepräsident, 15.7.2015


Ich bin entsetzt und traurig darüber, wie sich manche meiner europäischen Kollegen/Innen über die deutsche Rolle in der Griechenlandkrise äußern. Die Attacken und Vergleiche (Auschwitz) sind beschämend, rückwärtsgewandt und voreingenommen. Die Fakten werden auf den Kopf gestellt, das Verständnis von einem gemeinsamen Europa tendiert gegen Null.

 Wenn die italienische Tageszeitung „La Repubblica“ nach dem Brüsseler Kompromiss schreibt: „Griechenland ist kein unabhängiger Staat mehr“, dann beweist sie damit ihr völliges Unverständnis von der europäischen Idee. Jeder Mitgliedsstaat der Europäischen Union tritt automatisch immer mehr Bestandteile seiner Souveränität an die Gemeinschaft ab. Dies ist ein permanenter Prozess, der  ständig neu diskutiert und politisch justiert wird. Dabei gilt: Je mehr ein Staat gegen die gemeinsamen Regeln verstößt (wie Griechenland dies seit Jahren tut), umso stärker muss die übrige Gemeinschaft  Verantwortung übernehmen. Ganz Europa, auch Länder, die sich selbst schon durch harte Sparmaßnahmen aus der Krise befreit haben, versuchen Griechenland zu helfen. 700 Euro hat jeder Deutsche im Feuer der Gläubiger, auch wenn seine eigene Rente wesentlich geringer ist.

 Nicht das Sparprogramm ist verantwortlich für die griechische Krise. Nicht die Helfer, sondern die griechischen Regierungen haben in der Vergangenheit das Land immer tiefer ins Elend geführt. Wer jahrelang über seine Verhältnisse lebt, darf sich heute nicht wundern. Ob sozialistische oder konservative Regierungen, alle haben die notwendigen Reformprogramme verschleppt und zum Schluss sogar total verweigert. Auch die Medien haben bei ihrer Kontrollfunktion versagt. Sie haben ihre Politiker nicht kritisch unter die Lupe genommen, sich teilweise sogar zu deren Komplizen degradieren lassen. Sie haben die Fehlentwicklungen nicht ans Licht gebracht. Das Gerede von der verlorenen Würde, von Ehre oder Demütigung kann man sich sparen, wenn man nicht in der Lage ist, ein funktionierendes Staatswesen mit einer effizienten Kostenrechnung (Öffentlicher Dienst, Finanzverwaltung, Katasterämter, etc.) zu etablieren. 

 Wenn Griechenland im Euro bleiben will, dann muss der grundlegende Umbau des Landes ein europäisches Projekt werden. Und griechische Politiker müssen aufhören, anderen die Schuld für ihr eigenes Versagen zuzuschieben. Ob die Krise jemals gelöst wird, vermag deshalb heute niemand zu sagen.

 Die Probleme Griechenlands wurzeln sehr tief. Schon immer litt es unter einer unzureichenden Produktivität, hatte kaum nennenswerte Industrie, verhedderte sich in einer unglaublichen Klientelpolitik statt die Korruption zu bekämpfen und vermied Reformen wie der Teufel das Weihwasser. Aber wo ist in Griechenland die politische Kraft, die in der Lage ist, dieses Steuer herumzureißen? Zur griechischen Mentalität gehört auch ein tief verwurzeltes Misstrauen in die Fähigkeit des eigenen Staates. Man beschwindelt ihn, weil der Argwohn so groß ist. Nur wenn die Griechen den Eindruck haben, in ihrem Staat gehe es einigermaßen gerecht zu, es werde kein Geld verschwendet, es werden keine Privilegien geduldet und die Korruption bekämpft, sind sie bereit diesem Staat zu vertrauen und ihre Steuern zu zahlen.

 Auf jeden Griechen entfällt heute eine Schuldenlast von 28 800 € (bei niedriger Wirtschaftsleistung). Diese Verschuldungspolitik ist der Totengräber Europas und nicht Frau Merkel oder die deutsche Regierung (bzw. die anderen 18 Regierungen der Euro-Gruppe), die Griechenland immer wieder geholfen haben, und zum großen Teil in ihren eigenen Ländern hart auf die Schuldenbremse treten.